Leseprobe

»Mir fehlen die Worte«, zürnte Antje Bruns. Dabei fehlten ihr die Worte gar nicht.
Emotionale Dunkelheit herrschte im »Lütt Hüs«. Licht und Liebe waren derzeit nicht zu erwarten. Die Wirtin stand vor ihrem Platz am Tisch. Die anderen saßen mit gesenkten Köpfen da, schweigend. Vor den Männern die gedeckte Tafel, samt gusseisernem Familientopf. »Ich bin einfach unglaublich empört. Wie kann man nur so dusselig sein!«, herrschte Antje die Kerle an. Alle ohne Ausnahme. Hermann zog Molly dichter an sich. Jesus schaute unschuldig drein. »Wer rudert bei Nebel wie der Teufel? Umsichtig, ruhig und besonnen gleitet ein kluger Ehemann und ein ebenso cleverer Bootsmann durch das Wasser, wenn die Sicht schlecht ist. Nur Dösköppe pullen, was das Zeug hält! Und wie verhielt sich das mit dem Deppenballern?« Die Wange des Wirts zuckte nervös. Raik und er hatten trockene Kleidung von Madame Rappelkopf erhalten. Sie waren froh, am Leben zu sein, und durften sich nun maßregeln lassen. Jedes Überleben hatte einen Preis – den des Lebens. Die männliche Hälfte des Ehepaars Bruns trug ein Pflaster an der Stirn. Streifschuss. Schrotkörnchen. Eine ehrenwerte Frontverletzung. Akzeptabel, da Zeugnis des Muts. Was hatte die Holde nur? Ein irrtümlicher Beschuss von den eigenen Streitkräften konnte vorkommen. Sogar den Besten.
»Außerdem ist es mir völlig schleierhaft, wie ein ausgewachsener Kerl mit einer Schrotflinte auf ein Schlauchboot zielen kann, in dem Freunde sitzen. Dass er aus Versehen darauf zielt, ist noch halbwegs erklärlich, aber das er abdrück …« Antjes wutverzerrtes Gesicht sagte den Rest. Hanke dagegen sah aus, als wäre er lieber woanders. Vielleicht bei Gretel? Fluchtblick von unten, hin zum Ausgang. Der Wirt hatte dem Schützen bereits verziehen, wollte dem Kameraden beistehen und hob den Kopf.
»Mein kleines Trotzköpfchen …« Weiter kam der Mann mit der ehrenwerten Verletzung nicht.
»Trotzköpfchen!?«, donnerte es über den Eichentisch. Peter Bruns, der es mit Umsicht und Besonnenheit versuchen wollte, verstummte. Er stellte fest, dass ein Ehemann oft nicht nur eine Ehefrau, sondern damit auch eine Meisterin heiratete – die der Standpauke. Das Haupt des Kneipiers senkte sich. Über allem lag der deftige Geruch eines Kohleintopfs. »Empört bin ich! Absolut empört! Wie kann man nur? Was war mit euch beiden Nebelhörnern? Warum seid ihr nicht eingeschritten? Altersweisheit auf Urlaub? Sogar als Studierter, kein bisschen Grips im Kopf?« Antje Bruns wäre nicht Antje Bruns gewesen, wenn sie nicht pragmatisch den Faden in die Zukunft gesponnen hätte. »Ich habe Kohleintopf gekocht. Mit Rinderhackfleisch.« Irgendein Magen knurrte. »Den habt ihr nicht verdient! Ich müsste ihn in die Toilette kippen. Toiletten machen wenigstens, was man von ihnen erwartet. Draufdrücken und das Wasser kommt. Ihr dagegen schmeißt euch idiotischerweise in die Nordsee und beschießt euch, obwohl keiner darum gebeten hat! Habe ich es mit einem Kindergarten zu tun?« Peter Bruns fühlte sich nicht wie in einem Kindergarten. Er wollte gleichfalls kein Klo sein, auch wenn er dafür Kohleintopf bekommen würde. Sein Magen sah das anders. Er knurrte. Der Wille des Wirtes erwog Friedensverhandlungen.
»Ach, mein Puschi …«
»Puschiii?«

Das Ausschicken von Wut schaffte Klarheit. Sofern es sich um reine Wut handelte, konnte sie gleichgesetzt werden mit Ehrlichkeit. Wer annahm, dass makelloser Zorn ungütig wäre, bedachte nicht alles. Wut und Zorn waren nicht das Gegenteil von Liebe, sondern oft ein Teil von ihr. Jemand, der Tempel von Selbstgerechten reinigte, hätte dafür Verständnis. Selbstzerstörerisch waren nur auf Dauer angelegte Stürme. Antjes Wut benötigte Nahrung, um am Leben zu bleiben. Der Mensch auch. Was würde helfen? Jesus stand in aller Ruhe auf und öffnete den Topf mit dem Kohleintopf. Jetzt aufstehen, sich in das Licht setzen? Was sollte das? Antje verlor den Faden und zusätzlich die Aufmerksamkeit der Gescholtenen. Verdattert überblickte sie den Tisch. Dämpfe stiegen auf. Duft nach Würze und Fleisch. Gierige Männeraugen folgten dem Topföffner. Jesus lächelte Antje an. Innerlich noch heißblütig, aber sie hielt ein. Beobachtete den Fremden. Wie konnte er nur in diesem Moment an Essen denken? In aller Ruhe befüllte er den nächstbesten Teller. Antje ließ nicht ab vom Anblick der würdevollen Bedächtigkeit, sie machte etwas mit ihr. Antje setzte sich zögernd hin. Jesus reichte der Wirtin den ersten Teller. Antje nahm ihn entgegen. Etwas verwirrt, doch die demonstrative Ruhe steckte an. Dann nickte Jesus ihr auffordernd zu. Sanftmut war nicht nur das Salz des Lebens, sondern zeitweilig auch die Kohlsuppe aus Dithmarschen ...

... und natürlich spielt auch die kleine Havaneserin 'Molly' eine Rolle:

Zu erwartende Pressestimmen und Meinungen



" ... Gogolin macht jeden Atheisten zum Adventisten ... " (Philosophie Heute)

" ... Die Geschichte Dithmarschens muss völlig neu geschrieben werden ... " (GERN im Norden)

" ... Glauben und Glauben ist zweierlei ..." (Glaube + Freiheit)

" ... gibt es inzwischen ernsthafte Überlegungen, den gesamten Text ins Altgriechische zu übersetzen und als 'Dithmarscher Evangelium' der heiligen Schrift anzufügen - bis zur Realisierung werden jedoch einige Jahre ins Land gehen ... " (Franziskus J., ökumenisch-orthodoxer Dompropst zu Wesselburen)

" Jesus? Nee! En Marienerschienen ja, dat kummt al mal vör, besünners wenn se Bloot wunn oder so, aver Jesus int Watt glööv ik nich!" (K. Groth, Heide)